Rede zum Tag des offenen Denkmals 2013

Elstras „unbequemes Denkmal

Die Elstraer stellten sich an diesem Tag ihrer Verantwortung. Sie thematisierten den Umgang mit der von 1998 – 2004 stehenden Plastik unter dem Titel „Gegen Fremdenfeindlichkeit – Erinnerung und Mahnung“.

Ausschnitte der in der St.-Michaeliskirche zu Elstra gehaltenen Rede:

Wir schreiben das Jahr 1998. In der Gersdorfer Straße von Elstra – auf dem Grundstück der van Eyks – macht sich ein alter Mann zu schaffen. Es ist der Holländer Anton van Eyk  höchst selbst. Die Einheit Deutschlands ermöglicht ihm, nochmals sein Grundstück aufzusuchen, in dem er und seine Frau Dorle von 1940 bis 1948 lebten – und seine beste Zeit erlebte, wie er selbst sagt, – eine Zeit, in der seine Gebrauchs- und Kunstkeramik und das Kunstgewerbe seiner Frau von Auftraggebern sehr gefragt war. Eigentlich hatte er das Studium der Bildhauerei absolviert, doch der Ausbruch des 2. Weltkrieg erschwerte seine Pläne. Anton van Eyk stellt mit einem befreundeten Ehepaar eine Plastik auf, die er als 86jähriger in seinem Atelier in Leuth nahe der Venloer Heide gefertigt hatte. Was zwang ihn dazu? Schlimme Erinnerungen waren wieder lebendig geworden und ließen ihm keine Ruhe. Das jüdische Ehepaar Hoffmann, das zwei Häuser weiter in der Villa des Oberlehrer Augst „untergetaucht“ war und so hoffte, mit dem Leben davon zu kommen, fiel kurz vor dem Zusammenbruch des faschistischen Staates dem Gräuel zum Opfer. Als Ende April 1945 die sowjetischen/polnischen Truppen noch einmal zurückgedrängt wurden, sei ein Auto (ein Augenzeuge sprach von einem Opel P4) vor die Augst-Villa gefahren und ein Mann habe das Ehepaar Hoffmann aus dem Haus geholt, in das Auto steigen lassen und sei davon gefahren. Irgendwo in der Nähe habe der Mann beiden aufgefordert, das Auto zu verlassen und weg zu laufen. Sie folgten der Aufforderung. Der Mann schoss hinter ihnen her und traf beide. Als Inge Hoffmann aus ihrer Ohnmacht erwachte, sah sie wenige Meter entfernt ihren Mann liegen. Sie kroch zu ihm, er war bewusstlos und atmete schwer. Sie nahm ihn in die Arme – er starb. Sie konnte sich zur Straße schleppen und wurde gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Im Sommer 1946 war sie wieder hergestellt, der Lungenschuss „verheilt“. Inge Hoffmann wollte wieder am Leben teilhaben und schloss sich der in Elstra bestehenden Theater-Truppe an. Inge war nicht nur schön, sondern konnte auch sehr gut singen. Sie bekam die Hauptrolle, die Rössl-Wirtin, im „Weißen Rössl vom Wolfgangsee“. Zur Hauptprobe erschien die sonst so pünktliche Inge nicht. Sie hatte wohl zu Hause zu sehr geübt, dabei platzte die Lungenwunde wieder auf und sie starb binnen weniger Minuten. Anton van Eyk, der wahrscheinlich ähnlich als „Ausländer“ um sein Leben in dieser furchtbaren Zeit gebangt hatte, konnte sich besonders gut in die Lage der Hoffmanns versetzen und litt mit ihnen. Nun war er ein alter Mann und sah seine letzte Aufgabe darin, die Menschheit zu mahnen, nie wieder so etwas zuzulassen! In Elstra wusste kaum jemand etwas von der Aufstellung der Plastik, am wenigsten die Stadtverwaltung. Also fühlte sich auch niemand zuständig, diesen Platz zu pflegen, zumal sich auch dieser eingezäunt – ohne Tür – auf dem Privatgrundstück befand. Und so verwahrloste dieses Mahnmal gegen Unkultur. Die Schrifttafel mit den ursprünglich Worten:

„In den letzten Kriegstagen 1945 wurde das jüdische Ehepaar Inge und Werner Hoffmann sowie eine unbenannte Zahl ausländischer Zwangsarbeiter ermordet. Kurz darauf töteten polnische und russische Soldaten etwa 50 Bürger der Stadt Elstra.

– Gestiftet von den Eheleuten Dorle und Anton van Eyk, die dem Unheil entkamen.“,

war eingewachsen, die Buchstaben hatten sich gelöst und damit war der Text völlig entstellt. Das Grundstück der van Eyks erwarben käuflich junge Leute, die sich ein schönes Haus darauf bauten und einen Garten anlegten. Für sie war der von ihrem Land abgetrennte „Schandfleck“ unerträglich. Sie baten darum, dieses Mahnmal umzusetzen. Aber so einfach war das nicht! Zwar konnten sich die Stadträte vorstellen, dass man auf dem Friedhof Elstras einen geeigneten Platz dafür findet, doch brauchte man nun das Einverständnis der Erben, denn Anton van Eyk war inzwischen verstorben. Außerdem scheute man die Umsetzung, weil dabei noch mehr kaputt gehen konnte. Man bat die Erben, sie mögen diese Plastik der Stadt überschreiben, damit man sie versichern und ausbessern kann. Es führte kein Weg hinein. Und deshalb griffen die Besitzer zur Selbsthilfe. Sie beauftragten eine Firma, die Plastik vorsichtig zu bergen und erwarben sehr teuer dieses kleine Stückchen Land. Bei Nacht und Nebel wiederum wurde das Denkmal von den Erben abgeholt und niemand weiß, wo es hingeraten ist. Aber dieser Sache gehen engagierte Elstraer Bürger nach. Im 10. Todesjahr des Anton van Eyk 2014 wollen sie es herausgefunden haben. Der alte Mann soll geweint haben, als er nach Aufstellung der Plastik zurück nach Leuth fuhr, zumal er auch Elstra so liebte. Doch die Elstraer erwiderten seine Liebe leider nicht. Leider begleitete das Scheiterte den Künstler sein Leben lang: Er heiratete eine Deutsche, deshalb blieb er in Deutschland und wurde natürlich denunziert. 1945 von den Faschisten, er sollte mit der Taschenlampe Lichtorientierung für die amerikanischen Flieger gegeben haben. 1948 musste er und seine Frau wegen Spionageverdachtes vor dem sowjetischen KGB aus Elstra fliehen und gingen nach Holland. Dort wurde mehrmals sein Atelier im Nachkriegs-Amsterdam verwüstet, weil er eine deutsche Frau geheiratet hatte. 1958 erwarb das Ehepaar ein 22500 qm Areal eines ehemaligen Nazi-Flugplatzes und gestaltete es als Park mit vielen von van Eyk geschaffenen Plastiken um. Eine erinnert an Dorothea mit der Taube in der Hand. Das Ehepaar lebte dort bis zum bitteren Ende in einem Wohnwagen, ohne fließendes Wasser und Strom – also karg. Der ursprüngliche Plan, auf dem Gelände keramische Werkstätten zu errichten, scheiterte wegen finanzieller Schwierigkeiten und bürokratischer Stolpersteine. Diese verhinderten auch den Bau eines festen Wohnhauses mit Atelier. Anton van Eyk erzählte: „Wir waren immer Außenseiter und legten keinen Wert darauf, ein bürgerliches Leben zu führen, wir haben ohne Wohnung gelebt, in der Werkstatt, wurden überall rausgeschmissen!“ Dorothea starb 1995 (sie wurde 83 Jahre alt), Anton 2004 im Alter von 92 Jahren.

Quellen: Heimatbuch 2002 des Kreises Viersen, Artikel der SZ vom 27. 03. 2004, geschrieben von Bernd Goldammer, Stadtverwaltung Elstra, Befragung von Zeitzeugen  und Elstaer Bürgern, die Anton van Eyk noch kennenlernten, Zusammengetragen von Dr. Hermann Schierz, Sieglinde Fröhlich und Holde Liebau.

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